« schöne neue Welt »


Ortspezifische Intervention
Von Andrea Reisinger und Christina Hartl-Prager
Eine Einladung von Wyspa - Institute of Art hat uns in die Danziger Werft gebracht. Der Ort, an dem vor 25 Jahren Solidarnosc gegründet wurde. Die Stadt schmückt sich mit Solidarnosch-Flaggen und Johannes Paul II. Das Jubiläumsjahr wird gefeiert.
Wir befinden uns an der Grenze zwischen Industrie und Kunst. Auf der einen Seite Docks und Schiffbau auf der anderen Seite Wyspa seit zwei Jahren hier in einem ehemaligen Ausbildungsgebäude der Docks stationiert – ein wunderschöner alter Backsteinbau. Wyspa befindet sich in einer Umbauphase; soll zu einem zeitgenössischen Museum umgebaut werden. Man zeigt uns Modelle des zukünftigen Gebäudes, glatt, weiß mit Glaselementen – dem minimalistischen „white cube Baustil“ heutiger Museen entsprechend.
Auf dem Gelände steht ein altes Kiosk. Das Kiosk war einmal grün gestrichen, die Scheiben sind zerbrochen, überall kleben Überreste von Plakaten und Zeitungsausschnitten. Der Innenraum wurde früher mit einem kleinen Ölofen beheizt. Dieser Ort wird seit Jahren als Müllkübel benützt. Innen stapelt sich der Abfall bis zu einem Meter hoch.

Wie die meisten ehemals realsozialistischen Gesellschaften setzt auch die polnische alles daran sich möglichst schnell nach westlicher Struktur umzubauen. Dies geht oft mit einer undifferenzierten Ablehnung bzw. Abwertung aller geschichtlich gewachsenen Struktur einher. Oft werden alte Strukturen einfach auch nur von denen des neuen Systems überdeckt, während sie im Untergrund weiter rumoren.
Die Neuorientierung ist geprägt von der Umwertung vergangener Wahrnehmungs- und Handlungsweisen.
In diesem Prozess entstehen immer wieder undefinierte Räume, die bereits ihrer alten Bedeutung enthoben sind, aber noch nicht neu besetzt wurden.

Wir beginnen damit, alles abzukehren. In Staubwolken gehüllt reißen wir Papierfetzen herunter, entfernen Spinnweben und abblätternde Lackfarbe. Die folgenden zwei Tage verbringen wir damit, das Kiosk innen und außen blütenweiß zu überstreichen; die zerbrochenen Fensterscheiben zu putzen. Aus dem alten Kiosk wird ein architektonisches Modell. Eines, wie wir es im Wyspa Gebäude bei unserer Ankunft gesehen haben.

Der Abfall befindet sich nach wie vor im Inneren des mittlerweile kompromisslos weißen Objekts. Mit Kleister und Zeitungspapier überklebt verwandeln sich die Mullsäcke, Flaschen, Kabel, Neonröhren, Bauschutt in eine landschaftsartige Kleinstwelt, im letzten Schritt ebenfalls weiß übermalt.
Wie ein Kartonmodell sieht das Kiosk jetzt aus, sticht aus der umliegenden Umgebung hervor, entfremdet, wie aus einer anderen Welt hierher gebeamt.
FIKTION steht in großen Lettern auf dem Dach. Sichtbar nur vom Büro des Wyspa- Institute of art.

Eine Ausstellung zum Solidarnosc Jubiläumsjahr wird gerade vorbereitet. Eingeladen sind internationale Künstlerinnen aus Frankreich, Deutschland, Polen. Interessiert beobachten sie unsere unaufgeforderte, nicht abgesprochene Aktion .
Wyspa wurde schon mehrmals von den Behörden geschlossen, weil heikle Themen wie die enge Verknüpfung von Religion und Staat zu kritisch hinterfragt wurden. Die Angst vor einer neuerlichen Schließung ist permanent präsent. Das macht es den KünstlerInnen nicht einfach ihre Ideen umzusetzen ohne zu große Kompromisse eingehen zu müssen.
Unser Akt der „sauberen Anarchie “stellt zwar für das Haus keine existenzielle Bedrohung dar, löst aber heftige kontroversielle Diskussionen aus.

Und –Wo soll man den Müll zukünftig lagern? Wir wissen es nicht.